Nr.16 Ultimative obsession multiversum

29.Oktober 2023 /

Text.Jonas Stetter

Bilder.Bertha

Die verzerrte Wahrnehmung eines Phänomens, ein Beispiel für eine kognitive Vorurteil, lustigerweise auch Baader-Meinhof Phänomen genannt, beschreibt die Auffassung, dass ein gerade gelerntes Phänomen plötzlich überall auftaucht. Man lernt beispielsweise mehr über ein neues Konzept wie die «Degrowth»-Bewegung – und plötzlich findet man es in einem Interviewpodcast erwähnt und es wird in einer Werbung darauf angespielt.

Vielleicht ist es nur ein Beispiel für ein Baader-Meinhof Phänomen, aber plötzlich waren letztes Jahr Multiversen überall. Es fällt besonders auf, dass dieses Konzept Eingang in die Mainstream-Kultur gefunden hat – Facebook hat sich sogar umbenannt. Letztes Jahr waren Multiversen ein zentrales Thema in den Spiderman und Dr. Strange Filmen von Marvel. Aber kein Film hat dieses Kernthema mehr verinnerlicht, als der diesjährige Gewinner von sieben Oscars: Bester Film, beste Regie, beste Hauptdarstellerin, bester Nebendarsteller, bestes Originaldrehbuch und bester Filmschnitt.

Everything Everywhere All At Once hat offensichtlich einen Nerv getroffen.

An und für sich ist die Idee von Multiversen nicht neu: Die unendliche Geschichte von Michael Ende und C.S. Lewis’ christliche Geschichte Narnia sind nur zwei Beispiele für Geschichten, in denen Figuren in Parallelwelten stolpern. Bei Shakespeare sind es die Insel in The Tempest oder der Wald in A Midsummer Night’s Dream, wo Figuren in einen andersweltlichen Zustand geraten können, der sie in ihrem Charakter verändert.

Wieso befindet sich das Multiversum als Konzept nun aber im Vordergrund des kollektiven Bewusstseins? Darüber gibt der Titel des Oscar-Abräumers Aufschluss. Während frühere Darstellungen von Paralleluniversen zu Eskapismus oder als Warnbeispiele dienten, beschreibt das Phänomen heute paradoxerweise die Realität.

In der vorletzten Sonntag-Skizze habe ich über den Zeitgeist der Überforderung und der Wahrnehmung, die Welt sei aus den Fugen geraten, geschrieben. Die vielen verschiedenen Optionen, Lebenswege und die damit verbundene innere und äussere Gespaltenheit wird thematisiert. Die Tatsache, dass wir alle Optionen mit unserer Fingerkuppe aufrufen können, ist nicht nur ein Segen.

Die Kehrseite vom Baader-Meinhof-Phänomen ist die tatsächliche Zunahme an Material über ein bestimmtes Thema. Dieser Effekt hat etwas sich selbst verstärkendes. Gerade lässt sich das besonders mit dem Thema der künstlichen Intelligenz beobachten. Mit den momentanen technologischen Fortschritten im Bereich der künstlichen Intelligenz wird die oben genannte Vielfalt und Verfügbarkeit der Optionen nur weiter zunehmen. Während sich die Menschen an alles anpassen, muss es einen Punkt geben, an dem wir dem sich ständig beschleunigenden Fortschritt schlicht nicht mehr nachkommen können. Wann ist dieser Punkt erreicht und wessen Welt bewohnen wir, wenn es soweit ist?

ich halte mich an nichts, alles hält mich. Acryl & Pastel auf Papier.

 

Quellen:

Narnia

Spiderman

Dr. Strange

Everything Everywhere All At Once

The Midnight Library

George Orwell – 1984

https://www.goodreads.com/book/show/61439040-1984?from_se


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Sonntag Skizze

Short thoughts written in prose. Accompanied by illustrations. Every other Sunday.

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