Nr.15 Veni Vidi Vixi

15.Oktober 2023 / Text. Jonas Stetter / Bilder. Bertha

Manchmal fühlt sich das Leben an wie eine fotografische Momentaufnahme, aus der wir auch mit Erinnerungen und Träumen nicht zu fliehen vermögen. Dann wieder ist es ein Rad, das immer drehend an denselben Punkt zurückkehrt, wie das Fortuna-Rad oder Nietzsches Ewige Wiederkunft.

Aber kein Bild ist so passend wie der Lebensfluss:

«20 years sat on the brink, I am a riverbank

Oh, Lord, I'm waitin' for you

[…]

But time is on my side, time is on my side

64, will I still be waitin'?

Combed my hair back to try to stop the past

You'll be gone, you'll be livin' large in three

City's far away, I will be in you»

-Sohn

Der britische Sänger SOHN beschreibt in seinem Lied Riverbank verschiedene Stationen im Lebensfluss aus der Ich-Perspektive. Dieser Fluss fliesst von einem Ich in ein Du über. In diesen generationalen Übergängen fliessen Fotografie, die Ewige Wiederkunft und der Fluss zusammen. Jede neue Generation bringt dieselben Motive in Variationen hervor.


Die Flussmetapher ist auch deshalb so mächtig, weil sie dem Identitätsphänomen entspricht:

«Der Fluss ist überall zugleich, am Ursprung und an der Mündung, am Wasserfall, an der Fähre, an der Stromschnelle, im Gebirge, überall zugleich[.]»

Wie der Fluss in Hesses Siddhartha ist das Ich konstant (am Ursprung, als Kind aber auch am Ende, als Greisin) und zugleich flüchtig; der Fluss bleibt und verfliesst. Er verändert sich und trägt gleichzeitig etwas in sich, das ihn als Ganzes zu einem einzigen Gewässer macht. Ströme sind auch deshalb eine häufig benutzte Metapher für Identität und das Leben und die Generationen, weil sie nur eine Fliessrichtung kennen.


Aus diesem Fluss kann sich niemand befreien. Aber Träume und Erinnerungen erlauben es uns, Her- und Zukünfte zu sichten, während wir weitergetragen werden. Wie an anderer Stelle erwähnt, erreicht man Weitsicht laut Hesse durch sorgfältige Aufmerksamkeit:


«Sie lauschten. Sanft klang der vielstimmige Gesang des Flusses. Siddhartha schaute ins Wasser und im ziehenden Wasser erschienen ihm Bilder: sein Vater erschien, einsam, um den Sohn trauernd, er selbst erschien, einsam, auch er mit den Banden der Sehnsucht an den fernen Sohn gebunden; es erschien sein Sohn, einsam auch er, der Knabe, begehrlich auf der brennenden Bahn seiner jungen Wünsche stürmend, jeder auf sein Ziel gerichtet, jeder vom Ziel besessen[.]»

 

Ohne Titel. Acryl auf Papier. Digital gespielt

 

Quellen:

Hermann Hesse – Siddhartha

https://www.goodreads.com/book/show/52036.Siddhartha?ref=nav_sb_ss_1_16

Friedrich Nietzsche – Also sprach Zarathustra

https://www.goodreads.com/book/show/1366908.Also_sprach_Zarathustra_Ein_Buch_f_r_Alle_und_Keinen?ac=1&from_search=true&qid=MSI6N9lues&rank=1

SOHN – Riverbank

https://www.youtube.com/watch?v=vvHyLm_eOPI&ab_channel=SOHN





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