Nr.4 Nur Filme oder viel Mehr?
22. Mai 2022 / Text. Jonas Stetter / Bilder. Bertha
Kürzlich war ich beim Abendessen mit Freunden. Über halbvollen Tellern und Gläsern gestand jemand, den ich bis dahin immer sehr respektiert und für eine belesene und kritisch denkende Person gehalten hatte, dass ihn Filme überwiegend langweilen.
Solche als gefährlich einzustufenden Meinungen sind erschreckend weit verbreitet. Die Menschen tendieren immer mehr dazu, das Medium Film auf eine Weise zu konsumieren, in der man für einen kurzen Blick vom Smartphone-Bildschirm hoch zu einem anderen Bildschirm sich auf eine eigentlich längst veraltete Kunstform (nicht recht) einlässt. Das Kino ist schon seit Jahren mehr tot als lebendig, möchte man meinen.
Ich möchte hier kurz für dieses am Boden röchelnde Medium plädieren. Es gibt unzählige Gründe, weshalb sich jede Person Filme, besonders im Kino, regelmässig anschauen sollte. Hier sind drei:
1. Es ist das dichteste Medium.
In einem Film gibt es eine enorme Vielfalt an Aspekten, auf die man sich achten kann. Der Bildausschnitt, die Kameraführung, die Kostümwahl, der Dialog, das Farbschema, die Filmmusik, die Erzählweise, die Belichtung, die Darstellenden und die Geräuschkulisse sind nur einige der Ebenen, auf welchen man einen Film beobachten kann. Wer sich in einem Filmerlebnis langweilt, trägt mindestens die Hälfte der Verantwortung selbst.
2. Es gehört zu den immersivsten Medien.
Wie man an der Liste unter dem ersten Punkt sieht, gibt es viele verschiedene Ebenen, die für ein Filmerlebnis zusammenspielen müssen. Wenn dies funktioniert, wird man Teil eines fast metaphysischen Erlebnisses. Man sitzt nicht mehr im Kinostuhl, sondern verbringt einen Sommer in einer abgeschotteten Gemeinde in Schweden, rauscht auf einem Besen über Wälder oder teilt sich mit einem Unbekannten eine Kutsche. Wir spielen in der Fiktion Szenarien durch und lernen, wer wir sein möchten.
3. Es ist einer der wenigen fremdbestimmten Orte, die uns bleiben. Wenn man einen Film im Kino sieht, was unbedingt zu empfehlen ist, ist man für die Laufzeit an die Entscheidungen einer anderen Person gebunden. Man lässt sich für einen mehr oder weniger definierten Zeitraum buchstäblich auf die Vision von jemand anderem ein. Wenn es dunkel wird, gibt es nur noch die Begegnung zwischen dem Selbst und dieser Vision. Es ist eine Einladung an das Publikum, aber auch eine Herausforderung. In einer Zeit, die von Ablenkung und Selbstbestimmung geprägt ist, kann diese Herausforderung zur grossen Erleichterung führen.
Der Kinobesuch lohnt sich.